Bei kaum einem Thema sind sich Politiker, Medien und Bürger so einig wie in der Empörung über das mangelhafte Steuerwesen Griechenlands. Dass dort die Reichen nicht ordentlich besteuert, die Hinterzieher nicht verfolgt und die Umsatzsteuern nicht richtig eingetrieben werden, gilt als ausgemacht.
Markus Söder (CSU), Finanzminister in Bayern und einer der härtesten Griechenlandkritiker, verweist denn auch stets auf die „ineffiziente Steuerverwaltung“ in Athen.
Doch vielleicht muss Söder mit solchen Vorwürfen demnächst vorsichtiger sein. Denn auch in Deutschland, und da insbesondere in Bayern, sparen Vermögende und Unternehmen jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge auf Kosten der übrigen Steuerzahler, weil die Steuererhebung hoffnungslos veraltet und ineffizient organisiert ist.
Diesen Vorwurf erhebt der Marburger Politikwissenschaftler Markus Meinzer in seinem jüngst erschienenen Buch über die „Steueroase Deutschland“.
Über Jahre hat der Autor akribisch Hunderte von Studien, Presserecherchen und Statistiken ausgewertet sowie Steuerfahnder, Betriebsprüfer, Anwälte und Kriminalbeamte befragt. Und sein Befund ist erstaunlich: Die Bundesrepublik sei „längst nicht mehr passives Opfer der Steueroasen“, sondern in Wahrheit selbst Teil des Systems der organisierten Steuervermeidung. Schlimmer noch: Deutschland biete für Mafiosi und Kleptokraten aus aller Welt auch ideale Bedingungen, kriminell erworbene Gelder zu waschen.
Private Wirtschaftsprüfer übernehmen die Kontrolle
Deutschland ein Hort der Steuervermeider und Geldwäscher? Der Augenschein spricht dagegen. Schließlich sind Deutschlands Finanzminister mittels Datenkauf gegen Steuerbetrüger mit Schweizer Konten vorgegangen und haben eine Welle von Selbstanzeigen ausgelöst. Gleichzeitig haben sie nach den vielen Enthüllungen über Steuerflucht („Offshore-Leaks“) und die Steuerdeals der Weltkonzerne („Luxleaks“) das „Ende des Bankgeheimnisses“ und große Reformen versprochen. Insofern scheint die Politik zumindest auf dem richtigen Weg.
Doch diesen Eindruck verweist Meinzer ins Reich der Illusionen. Das beginnt schon damit, dass hierzulande die Geldwäsche als Straftat de facto nicht verfolgt wird. Despoten, die im Zuge des arabischen Frühlings gestürzt wurden, unterhielten Konten und Depots in Deutschland. Nicht einer dieser Fälle wurde je ermittelt. Dabei sind Banken bei „politisch exponierten Personen“ ausdrücklich zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen verpflichtet.
Doch die Kontrolle delegiert die Aufsichtsbehörde Bafin an private Prüfungsgesellschaften wie KPMG, die im Interesse ihrer Kunden nie etwas finden. Anders als andere OECD-Länder wurde in Deutschland von 2006 bis 2012 nicht ein Cent auf Konten ausländischer Anleger wegen Korruption eingefroren.
Ideale Bedingungen für Mafiosi und Kleptokraten
Weitgehend unbehelligt bleiben Deutschlands Geldhäuser auch bei der Bereitstellung sogenannter Korrespondenzkonten für Banken außerhalb der Euro-Zone. Diese wickeln darüber Devisengeschäfte ab, ohne dass geprüft wird, für wen. Meinzer dokumentiert anhand von privaten Organisationen ermittelter Fälle, dass am „Finanzplatz Frankfurt die Fäden vieler europäischer Geldwäscheprobleme zusammenlaufen“.
Über den gleichen Service hatte sich die US-Niederlassung der HSBC ins mexikanische Drogengeschäft verwickelt und musste dafür 1,9 Milliarden Dollar Strafe zahlen. In Deutschland dagegen wäre die Bank straffrei ausgegangen, vermutet Meinzer.
Nicht minder untätig sind die deutschen Behörden im Umgang mit Steuertricks von Konzernen und Vermögenden. Mit einer erschütternden Vielzahl von Details weist Meinzer nach, dass es auch hierzulande „fragwürdige Absprachen über steuerliche Sonderbehandlung“ gibt und die Steuerpflichten von Unternehmen „zum Spielball standortpolitischer Geschenke geworden sind“. Zentrale Ursache dafür sei der „Steuerwettbewerb“ der Bundesländer und das Fehlen einer bundeseinheitlichen Steuerverwaltung, diagnostiziert er.
24 Milliarden Euro Mehreinnahmen wären möglich
In der Folge werben gerade die reicheren Bundesländer bei Investoren unverhohlen damit, dass sie nicht so genau hingucken. Mehr als 25 Prozent der gesamten Einnahmen aus der Körperschaftssteuer gehen auf die Ergebnisse von Betriebsprüfern zurück. Im Schnitt treibt jeder Prüfer 1,4 Millionen Euro mehr ein, als er selbst kostet. In der gleichen Größenordnung liegen die Erfolge der Steuerfahnder. Doch wider alle fiskalische Vernunft kürzen die Finanzbehörden seit Jahren die Stellen für Prüfer und Fahnder. „Trauriges Schlusslicht“ ist ausgerechnet Bayern, wo auf jeden Prüfer 826 Betriebe kommen, doppelt so viele wie in Hamburg.
Gleichzeitig sperren sich die Länder eisern gegen den Ausbau der Betriebsprüfung auf Bundesebene. Bis heute dürfen Bundesprüfer lediglich mitarbeiten. Aber bei diesem einen Prozent aller Prüfungsfälle würden regelmäßig Missstände festgestellt, die „nur die Spitze des Eisberges“ darstellen, zitiert Meinzer eine bisher geheime Studie des Bundesrechnungshofes.
Würden alle Untersuchungen dem Muster der Bundesprüfer folgen, könne leicht ein Mehrertrag von 24 Milliarden Euro im Jahr erzielt werden, kalkuliert Meinzer.
Der Autor arbeitet als Analyst für das internationale „Tax Justice Network“, einem Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen aus aller Welt, die für faire Steuersysteme streiten. Darum liegt der Verdacht nahe, seine Untersuchung sei allzu parteilich.
Doch die schiere Fülle der Fakten spricht dagegen. Noch immer müssen die meisten Betriebe in Bayern nur alle 20 Jahre mit einer Prüfung rechnen. Vielleicht sollte Meinzer ein paar Exemplare nach Athen schicken. Viele Griechen verstehen Deutsch sehr gut.
Quelle: Tagesspiegel