Griechenland zum Feiern aufzufordern, ist nicht mehr und nicht weniger als blanker Zynismus!!!

Flassbeck-Economics, 20.03.15

Blicken wir zurück: Noch vor wenigen Monaten, nämlich Mitte November 2014, jubelten die Medien hierzulande über die vermeintliche wirtschaftliche Wende in Griechenland. Zu dieser Zeit waren von der europäischen Statistikbehörde Eurostat die neuesten Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das dritte Quartal 2014 veröffentlicht worden. Sie hatten gezeigt, dass Griechenland (zusammen mit Slowenien) mit einem Wachstum des saisonbereinigten BIP von 0,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal an die Spitze aller Länder des Euroraums gerückt war. Vom „Überraschungssieger“ Griechenland (Deutschlandfunk), dem „Wachstumschampion der Eurozone“ (Spiegel online) und Ähnlichem konnte man lesen. Fast alle Medien teilten die Auffassung der „Süddeutschen Zeitung“: „Griechenland kämpft sich aus der Rezession.“ Andreas Scheuerle von der Dekabank sah im Deutschlandfunk für Griechenland gar einen „Grund zu feiern“, da nun deutlich werde, dass die Reformen sich auszahlten.
Die Griechen angesichts einer saisonbereinigten Arbeitslosenquote von 26 Prozent, einer Jugendarbeitslosenquote von 51,2 Prozent (beides im Dezember 2014), einem Anstieg der Zahl der Selbstmorde um 40 Prozent in den letzten fünf Jahren und einer dramatischen Verschlechterung
der medizinischen und Ernährungssituation (wie der französische Ökonom Jacques Sapir berichtet, bleibt inzwischen fast die Hälfte der griechischen Bevölkerung im Krankheitsfall medizinisch unversorgt und ein Viertel der Schulkinder leidet an Hunger) zum Feiern aufzufordern, ist nicht mehr und nicht weniger als blanker Zynismus.

Tatsächlich gab es zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Grund zum Optimismus oder gar zum Feiern. Wir hatten Anfang des Jahres auf flassbeck-economics darauf hingewiesen – und vor uns schon Bill Mitchell –, dass das reale Miniwachstum der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2014, das hierzulande so bejubelt wurde, vermutlich in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass in Griechenland die Preise inzwischen schneller sinken als die Einkommen.[1] Griechenland befand sich also bereits in einer offenen Deflation, keineswegs aber am Beginn eines dynamischen Wachstumsprozesses und einer nachhaltigen Aufwärtsentwicklung.
Unsere Skepsis fand – wie nicht anders zu erwarten – wenig Beachtung, nur Spiegel online griff unsere Argumentation in einem Beitrag auf. Seit Eurostat Anfang März die Wachstumsraten des BIP für das vierte Quartal 2014 (gegenüber dem Vorquartal) bekanntgegeben hat, ist die Euphorie endgültig verflogen. Tatsächlich verzeichnet Griechenland mit -0,4 Prozent nach Zypern (-0,7 Prozent) den zweithöchsten Rückgang des BIP aller Länder des Euroraums. Das nominale BIP Griechenlands sank nach Angaben der griechischen Statistikbehörde ELSTAT im vierten Quartal 2014 sogar um 2,2 Prozent, was auf eine Inflationsrate von -1,8 Prozent schließen lässt, d.h. auf eine ausgeprägte Deflation.

Nichts deutet im vierten Quartal des letzten Jahres auf eine Wende in der ökonomischen Entwicklung Griechenlands hin: Nach ELSTAT blieben die Konsumausgaben der privaten Haushalte gegenüber dem Vorquartal nahezu unverändert (+0,2 Prozent), während sowohl die staatlichen Konsumausgaben (-1,1 Prozent) als auch die Exporte (-1,3 Prozent) sanken.
Auch die neuesten Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen für Ende 2014, die erst kürzlich von ELSTAT publiziert wurden, zeigen keine wirtschaftliche Belebung. So ist die saisonbereinigte Arbeitslosenquote im Dezember 2014 im Monatsvergleich ungefähr gleich hoch wie im November (26,0 Prozent im Dezember 2014 gegenüber 25,9 Prozent im November 2014), während die Zahl der Beschäftigten im Dezember 2014 gegenüber dem Vormonat sogar um 0,7 Prozent abnahm. Auch im Quartalsvergleich ergibt sich nach Eurostat für Griechenland im vierten Quartal 2014 gegenüber dem Vorquartal nur eine geringfügige Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen um 0,1 Prozent. Immer mehr Griechen scheinen offenbar die Jobsuche aufzugeben; jedenfalls ist die Erwerbsquote[2] im Dezember 2014 merklich gefallen. Die Zahl der sog. „inaktiven Personen“ – also derjenigen, die weder arbeiten noch eine Arbeitsstelle suchen – stieg im Vergleich zu November 2014 um 0,6 Prozent an (wiederum nach ELSTAT). Die Zunahme der Arbeitslosenquote im Dezember 2014 wäre ohne den Rückgang der Erwerbsquote sicherlich höher ausgefallen. Die Abbildung zeigt noch einmal die seit Ende 2008 katastrophale Entwicklung des realen BIP und der Arbeitslosigkeit in Griechenland.

Abbildung
Abb BIP ALQ Gr

Es war also wieder einmal nichts mit der Wende zum Besseren in Griechenland. Noch nicht einmal von dem extrem niedrigen Niveau aus, auf das Griechenland inzwischen zurückgefallen ist, fand im vierten Quartal 2014 eine Aufwärtsbewegung statt. Dumm nur, dass der abermalige Rückgang des BIP nicht auf das erste Quartal dieses Jahres fiel. Man hätte ihn sonst wunderbar der neuen Regierung Tsipras in die Schuhe schieben können, frei nach dem Motto: Da sieht man wieder, wohin mangelnder Spareifer und fehlender Reformwille führen …

[1] Etwas genauer: Für die Wachstumsraten g (= prozentuale Änderung) gilt näherungsweise: g BIPr = g BIPn – g P. Dies heißt, dass die Wachstumsrate des realen BIP (g BIPr) ungefähr (nicht mathematisch exakt, aber das spielt hier keine Rolle) der Differenz zwischen der Wachstumsrate des nominalen BIP (g BIPn) und der Wachstumsrate des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus (g P), also der Inflationsrate, entspricht. Beträgt also beispielsweise in einer Volkswirtschaft die Wachstumsrate des nominalen BIP -2 Prozent, die Inflationsrate gleichzeitig -3 Prozent (herrscht also Deflation vor), so ist die Wachstumsrate des realen BIP = +1 Prozent: 1 = -2 – (-3)
[2] Die Erwerbsquote ist definiert als der Anteil der Erwerbspersonen im Alter von 15 Jahren und älter an der Bevölkerung dieser Altersgruppe. Zu den Erwerbspersonen zählen alle, die eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben (Erwerbstätige) oder suchen (Erwerbslose).
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